Uniklinikchef Hans-Jochen Heinze hält Gesundheit und Wirtschaft für gleichermaßen wichtig

Aus der Wanzleber Volksstimme vom 16.04.2020 / Reporter: Jens Schmidt

Kneipen können öffnen, aber ohne Alkoholausschank, meint Professor Hans-Jochen Heinze. Volksstimme-Reporter Jens Schmidt sprach mit dem Chef der Uniklinik Magdeburg über Wirtschaft, Corona und strenge Regeln.

Professor Hans-Jochen Heinze ist Ärztlicher Direktor der Uniklinik Magdeburg. Foto: J. Schmidt

Volksstimme: Herr Professor Heinze, ist es aus Sicht eines Mediziners vertretbar, die Wirtschaft wieder schrittweise hochzufahren?
Hans-Jochen Heinze: Eindeutig ja. Gesundheit und Wirtschaft sind nichts Gegensätzliches. Deutschland ist weltweit vorn bei der Versorgung von Corona-Patienten. Wir haben hervorragend ausgebildete Leute und eine hohe Bettenkapazität. Wenn wir dieses Niveau aufrechterhalten wollen, brauchen wir auch eine starke Wirtschaft. Zudem: Viele haben derzeit Existenzängste und erleiden einen unkontrollierbaren Stress. Wenn die Wirtschaft allmählich hochfährt, werden sie wieder Herr ihres Lebens: Auch das kann das Immunsystem stärken.

Wie schnell können Restriktionen gelockert werden?
Besonnen und schrittweise. Das Wichtigste: Abstand halten, regelmäßig lüften, sinnvoller Einsatz von Mund-Nasen-Schutz-Masken, nicht die Hand geben. Wenn wir das beherzigen, können Schulen wieder stufenweise beginnen. Auch Cafés und Restaurants können öffnen, wenn sie bestimmte Regeln einhalten: Genügend Abstand zwischen den Tischen, keine Feiern, maximal zwei Gäste oder eine Familie pro Tisch – und natürlich Mundschutz für Service und Küche. Ich plädiere dafür, anfangs keine alkoholischen Getränke auszuschenken, damit niemand leichtsinnig wird. Großveranstaltungen und Fußballspiele mit Publikum sind meines Erachtens aber noch nicht machbar, weil Besucher zu dicht aneinanderstehen.

Manche Länder hadern noch mit Lockerungen. Sachsen-Anhalt hat aber wenige Kranke. Wie sieht es der Arzt?
Ich sehe keinen Grund für ein Gleichschaltungsprinzip. In Sachsen-Anhalt ist die Lage eine ganz andere als etwa in Bayern. Bei uns gibt es deutlich weniger Infektionen. Aber der Schutz in Alters- und Pflegeheimen muss auch bei uns im Fokus stehen.

Wie soll man Ältere schützen, ohne alle zu gängeln?
Ältere und Schwerkranke zu schützen, heißt nicht, sie wegzusperren. Aber: Gut 30 000 Menschen leben in Heimen. Auf sie müssen wir ein besonderes Augenmerk legen. Das heißt insbesondere auch: Alle Mitarbeiter, Pfleger und Sanitäter müssen professionellen Mundschutz tragen. Das Land hat jetzt eine Million Masken gekauft – das ist vorbildlich.

Sind Sie für eine generelle Mundschutzpflicht?
Nein. Beim Joggen oder Spazierengehen wäre eine solche Vorgabe übertrieben. Aber überall dort, wo Menschen in Innenräumen keinen Abstand halten können, hilft der Schutz.

Was ist mit großen Einkaufszentren?
Dort ist eine Mundschutzpflicht sinnvoll, weil viele auf engstem Raum unterwegs sind. Zudem sollte man dort die Zahl der Kunden, die zugleich im Gebäude sind, begrenzen.

Werden Restriktionen gelockert, wird die Zahl der Infizierten wieder steigen. Ist das bei Jüngeren in einem dosierten Maße sogar wünschenswert, damit immer mehr immun werden?
Ich würde nicht von einer bestimmten Dosis reden. Die Schwere der Krankheit hängt nicht allein von Alter und Vorerkrankungen, sondern auch von der Viruslast ab. Bei einer hohen Belastung wie auf einer Großdisko mit Hunderten Leuten kann es auch für Jüngere gefährlich werden. Aber klar ist: Wenn sich das Leben wieder öffnet, gibt es mehr Infektionen und die Immunität nimmt zu. Die Kurve darf nur nicht zu stark steigen, weil ansonsten zig Tausende krank werden. Das würde nicht nur Kliniken, sondern auch Unternehmen belasten.

Manche warnen: Die große Welle kommt noch. Doch Tausende Intensivbetten sind frei.
Wenn wir das Leben behutsam wieder in Gang bringen, erwarte ich keinen Tsunami. Wir haben in Deutschland genügend Kapazitäten, um Schwerkranke mit Sauerstoff zu versorgen. Wir müssen aber bereit sein, im Notfall wieder Restriktionen einzuführen.

Wie ist die Lage an der Uniklinik?
Wir haben derzeit neun Patienten auf der Intensivstation. Davon sechs aus Frankreich. Sie sind auf dem Weg der Besserung. Zwei Patienten sind gestern zurück nach Frankreich verlegt werden. Weitere neun Intensivbetten sind frei und wir können notfalls weitere 20 freimachen.

Müssen wir mehr testen?
Ich halte viel von repräsentativen Tests. Nur so erfahren wir den Grad der Durchseuchung, der in den verschiedenen Regionen unterschiedlich ist. Wichtig ist, die Ressourcen sinnvoll einzusetzen.

Viele Verstorbene hatten erhebliche Vorbelastungen. Sterben Kranke nun mit oder an Covid-19?
Eine Ursachen-Statistik haben wir noch nicht. Deswegen plädiere ich für mehr Obduktionen. Durch Obduktionen können wir die wahren Todesursachen erkennen und die Krankheit besser verstehen. Unsere Pathologie steht dafür bereit.